„Wer weiß, ob Darwin recht hatte?“

Philosophie. Was ist Wahrheit? An dieser Frage ist schon Pontius Pilatus gescheitert. Österreichs beste Jungphilosophen pflegen das Prinzip Zweifel, auch bei den Naturwissenschaften.

Josef Bruckmoser, Salzburger Nachrichten (Team Wissenschaft)

Alexander Rabensteiner, Maturant am Realgymnasium Brixen, würde gern Philosophie studieren. Er glaubt aber nicht, dass er davon leben könnte, und wird sich daher einem echten Broterwerb zuwenden – wiewohl der Südtiroler überzeugt ist, dass die Philosophie auch in einer geistigen Landschaft, die von den Naturwissenschaften beherrscht ist, eine wichtige Aufgabe hätte. Zum Beispiel der Stachel im Fleisch einer wissenschaftsgläubigen Gesellschaft zu sein.

„Wer sagt denn“, so der Südtiroler Maturant, „dass Darwin mit seiner Evolutionstheorie wirklich Recht hat. Nicht umsonst sprechen wir von einer Theorie. Sie gilt so lang, bis das Gegenteil bewiesen ist.“ So gesehen gebe es auch in der Wissenschaft eine Evolution. Bis in das 16. Jahrhundert hätten die Menschen auch für wahr gehalten, dass die Erde eine Scheibe sei und die Sonne sich um sie drehe. Eine „Wahrheit“, die durch das heliozentrische Weltbild in sich zusammengefallen sei.

Alexander Rabensteiner war einer von zwei Dutzend Maturantinnen und Maturanten aus Österreich und Südtirol, die kürzlich in St. Virgil Salzburg die Philosophie-Olympiade ausgetragen haben. Eines der Themen war die Frage, an der schon Pontius Pilatus im Prozess gegen Jesus gescheitert ist: „Was ist Wahrheit?“.

„Was wir haben, bestenfalls haben, ist Vermutungswissen“, sagte dazu 1900 Jahre nach Pilatus der Philosoph Karl Popper (1902–1994). Das gelte auch für die gesamte Wissenschaft, betont Rabensteiner, der bei dem Bundeswettbewerb der besten philosophischen Köpfe in den Maturajahrgängen den dritten Platz errungen hat. Sie könne nie eine Theorie absolut setzen, „weil uns nur das kritische Weiterdenken vor Irrtümern bewahrt“.

Die Wissenschaft meine, uns etwas vorgaukeln zu können, kritisiert Aleksandar Arandjelovic vom BRG Biondekgasse in Baden bei Wien. „Obwohl sie sich damit beschäftigt zu untersuchen und zu verstehen, wird ihre Macht in der westlichen Welt grenzenlos überschätzt. Und sie wird von der Gesellschaft selbst stark beeinflusst. Man forscht, weil ein Interesse dahintersteckt, und findet am Ende das, was man gesucht hat.“

Dass viele Menschen dennoch wissenschaftliche Erkenntnisse nicht für Theorien hielten, sondern für Wahrheiten, erklärt der Maturant mit den Mühen des ständigen kritischen Hinterfragens: „Es ist leichter und bequemer, sich in die Unmündigkeit zu flüchten.“

An allgemein gültige Normen glaubt Aleksandar Arandjelovic nicht. Nein, auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 sehe er nichts Absolutes, betont er auf Nachfrage der SN. „Diese UN-Deklaration ist nicht mehr als der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die unterzeichnenden Staaten geeinigt haben.“ Eine Wahrheit könne man jedenfalls nicht von anderen annehmen, man könne sich nur subjektiv dafür entscheiden.

Mit der Wahrheit, sagt Lukas Meißl aus dem BORK Birkfeld, Stmk., sei es wie mit mathematischen Grenzwertberechnungen. „Auch die Wahrheit liegt als große Unbekannte im Unendlichen.“ Wahre Erkenntnis bleibe eine Odyssee, oder wie Karl Popper gesagt habe: „Wir irren uns empor.“ Die einzige Methode dafür sei, von Einzelfällen auf das Allgemeine zu schließen, obwohl niemand alle Einzelfälle prüfen könne. „Bei der Betrachtung von 324 weißen Schwänen und dem Aufstellen der Hypothese, alle Schwäne seien weiß, kann der 325. Schwan doch schwarz sein.“ Aus der Sicht des steirischen Maturanten bleibt nur die Einsicht: „Gäbe es eine absolute, objektive Wahrheit, müsste sie in den Fängen eines neutralen, immerwährenden Herrschers liegen – kurz: Gott. Wir Menschen sind systemimmanente Sträflinge, gefangen in der Welt. Wir, als einzelne Teile des Ganzen, können das Ganze nicht wahrnehmen.“

Der Artikel in der SN-Printausgabe vom 16. 4. 2013