„Alles hat einen Sinn – oder?“

Von Matthias Christler, Tiroler Tageszeitung


Mit 18 Jahren das Leben hinterfragen. Julia Zachenhofer aus dem 700-Einwohner-Ort St. Jakob in Haus vertrat Österreich bei der Philosophieolympiade in Dänemark.

Warum lesen Sie jetzt diese Zeilen? Zufall? Die 18-jährige Schülerin Julia Zachenhofer macht sich Gedanken wie diese. In einem Essay schreibt sie: Wenn ich mich frage „Wie kommt es, dass ich hier sitze und genau das mache, was auch immer ich gerade tu?“, fällt mir auf, dass es eine anscheinend simple, aber unbewusste und zum Zeitpunkt des Geschehens nicht feststellbare Reihe von Zufällen ist.

Julia Zachenhofer sitzt auf der Terrasse eines Cafés in Fieberbrunn und erzählt. Von dem Zufall, hier zu sein, von dem zweiten Platz, den sie mit diesem Essay beim Bundeswettbewerb in Salzburg erreicht hat, von der internationalen Olympiade in Dänemark und von dem wirklich zufälligen Entschluss, sich zu bewerben. „Im Nachhinein war es trotz des Maturastresses die richtige Entscheidung. Und das ist doch meistens so, weil eine Entscheidung immer zu etwas Weiterem führt, zu neuen Erfahrungen“, sagt die Maturantin vom Gymnasium St. Johann.

Dieses junge, modische Mädchen – eine Denkerin, eine Philosophin? Die Streifen auf ihren Schuhen passen farblich genau zum Nagellack auf ihren Fingernägeln. Mit ihrem Lächeln wirkt sie nicht in sich gekehrt, und doch verschwindet es immer wieder kurz, wenn ihr etwas durch den Kopf geistert. „Hm, wann ich mir das erste Mal solche Gedanken gemacht habe? Ich kann mich nicht erinnern. Wahrscheinlich war es beim Wechsel von der kleinen Volksschule bei uns in St. Jakob ins Gymnasium. In der Volksschule haben wir Regeln gelernt, erst später wurde mir klar, dass es nicht immer so sein muss.“ Für sich selbst hat sie gelernt, das Vorgetragene, die Regeln, den Lehrstoff nicht einfach so hinzunehmen. „In der Schule geht es doch immer nur um richtig und falsch – nicht ums Hinterfragen“, urteilt sie.

In ihrem Essay, für das sie zehn Minuten lang den pessimistischen Zukunftstext des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard auf sich wirken ließ und dann losschrieb, ist nichts absolut, sie hinterfragt sich und ihre Meinungen ständig. Alles hat einen Sinn – oder?

Zachenhofer trägt immer ein kleines Büchlein bei sich, in dem sie Gedankenspiele wie dieses notiert. „Wenn ich mit Freunden ausgehe, beobachte ich die Leute und schreibe etwas auf. Manche verstehen das nicht.“ Weil ein tiefer Gedankenaustausch im Alltag nicht so oft möglich sei, hätten ihr Gespräche mit den anderen Teilnehmern bei der internationalen Philosophieolympiade umso mehr gegeben. Womöglich bietet ihr der Entschluss, daran teilzunehmen, die Erkenntnisse, die sie gewonnen und die Erfahrungen, die sie gesammelt hat, eine Entscheidungshilfe. Noch wisse sie nicht, was sie nach der Matura machen wolle. Studieren schon, aber wo und was? Man sagt doch, die Zukunft liege ausgebreitet vor mir, ein offenes Buch, in dem zu blättern es sich lohnt, ich kann mir einen Spaß daraus machen, zufällig auf eine Seite zu hüpfen und mich in fantastische Abenteuer und die Möglichkeiten zu stürzen, die mir das heutige Leben bietet; oder ist es doch nur ein Märchenbuch?

Bei der Frage, ob sie sich als etwas Besonderes fühle, rutscht sie leicht nervös auf dem Stuhl hin und her. Bei einer anderen Frage ist ihre Antwort eine Lüge. Aus Bescheidenheit. Nein, Autorin sei sie keine. Nur um ein paar Minuten später beiläufig zu erwähnen, dass sie ihrer Mutter seit mehr als zehn Jahren zu jedem Weihnachten ein selbst verfasstes Buch schenkt. Um die 40 Seiten, selbst gebunden und mit Geschichten, die mal düster seien oder banal, dann wieder fantastisch. „Im Nachhinein ist es schön zu sehen, wie sich die Geschichten weiterentwickelt haben. Und ich mich wahrscheinlich auch.“

Die Zukunft ist eben doch nicht nur ein großer Zufall, sondern etwas, das sie durch Entscheidungen mit Bedeutung füllt. Dazu passt ihr Lieblingssatz aus dem Essay: Wenn es einen Sinn gibt, dann existiert keine Reue. Denken Sie kurz darüber nach ...


Tiroler Tageszeitung, Printausgabe vom Samstag, 08.06.2013

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